Die große Kluft zw. Theorie und Praxis, zu Hause u. Bühne

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Mike
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Die große Kluft zw. Theorie und Praxis, zu Hause u. Bühne

Beitrag von Mike »

"Ziehe locker 30% ab"....diese Worte klingeln mir noch in den Ohren, hat sie mir mein erster Gitarrenlehrer doch mit auf den Weg gegeben. Damals hatte ich noch null Plan davon, was er damit meint, heute bin ich da weiter.

Wie oft kommt es vor, dass man sich mit einem Thema auseinandersetzt, sagen wir mal Modes (wir lieben sie alle, oder?). Da sitzt du also über 2 Monate hinweg, hämmerst dir die Modes rein, am Ende deiner Übungssessions zimmerst du über einen Backing Track so was von einem genialen phrygrischen Solo in B-Moll hin, dass du es selbst kaum glaubst. Das gleiche praktizierst du noch mit der Pentatonic und dann irgendwann stellst du fest, dass du auf einer Session oder bei der Probe über einen lapidaren Griffwechsel gar nicht so schnell alles abrufen konntest. Wie oft hat sich da schon ein enttäsuchendes Feeling eingestellt, denn die Kluft zwischen der Theorie und dem zu Hause und dem Live vor Leuten oder bei der Probe ist ziemlich groß. Nach vielen Jahren des Übens leuchtete mir ein, dass mein alter Master mit den 30% gar nicht mal so verkehrt lag.

Ich habe lange überlegt wie man die Thematik umgehen kann und sich einen Teil der 30% wiederholen kann. Da ich ja überwiegend Bluesbetonte Mucke spiele, neigte ich dazu viel zu improvisieren. Abhilfe schaffte das konkrete Komponieren von Solos. Auch Fills und Licks in Strophen komponierte ichl, legte erstmal eine Struktur fest, bevor ich dann vielleicht nach etlichen Wiederholungen des Songs mal Varianten einbaute. Das hört sich vielleicht für den einen oder anderen "normal" an, für mich machte das aber einen Unterschied. Zudem war das fixe Komponieren solcher Parts auch die Erklärung , warum teilweise andere Gitarristen so souverän wirkten auf der Bühne. Ich sage immer am Anfang des Songs bin ich ein Beamter und nach einiger Zeit mit diesem Song bin ich ein Künstler im freien Umgang mit dem Song.

Habe auf dem letzten Gig auch wieder eine Abschluss-Session gespielt. Da merkte ich sie wieder , die 30%...viel Theorie in der Birne, zuviel manchmal...aber ich bin auch mit den 70% gut gefahren. Die Zeiten des krampfhaften Überlegens, wie wir es alle kennen, darüber was man noch üben muss und sollte sind glücklicherweise lange vorbei und einer Zufriedenheit gewichen, die ich mir objektiv betrachtet einfach mal gönne.

Unterm Strich denke ich
a) man sollte nie aufhören besser werden zu wollen, man sollte sich aber immer des Umstandes bewußt sein, dass man nie 100% abrufen wird, weil die Umstände einfach zu einflußreich sind auf die Performance, weil sich manches Buch in der Theorie einfach besser liest, als es sich letzlich umsetzen lässt.
b) man sollte ein ehrliches Resüme ziehen und Stellung beziehen, damit man sich nicht im Üben verrennt und der Spielspaß und die Zufriedenheit Einzug halten können.

So viel wollte ich eigentich gar nicht schreiben.....egal....lasst mal hören, ob ihr ähnliche Erfahrungen mit der "KLUFT" gemacht habt :-)
guitarrero

Beitrag von guitarrero »

Sicher sicher... jeder hat so seine Erfahrungen mit "der Kluft", denke ich. Bei mir äußert sich das meistens darin, dass ich Songs, die ich normal im Schlaf auswendig und zu 110% sauber spielen kann, live nicht so sauber performen kann, wie ich es gerne hätte. Es schleichen sich immer kleine "Unsauberheiten" ein und man greift mal ein bisschen daneben... vermutlich nichts, was der 0815-Hörer überhaupt bemerken würde, aber der eigene Anspruch ist schon, alles wirklich 100% zu reproduzieren was man im Proberaum oder auf Platte so fabriziert. Aber um diese Kluft zu schließen kann ich auch nichts machen, außer Gigs spielen ohne Ende... es ist nichts was man im Proberaum simulieren könnte oder so... auf so einer Bühne sieht man sich mit verschiedenen Gegebenheiten konfrontiert, die man ausblenden muss. Man fühlt sich selten zu 100% wohl auf einer Bühne, daher rührt vielleicht der ein oder andere Augenblick in dem man nicht voll konzentriert ist und so schleichen sich die Fehler ein... man muss halt lernen, Erfahrung und Routine sammeln, dann kann man auch unter widrigen Umständen annähernd 100% abrufen, denke ich... oder schnell berühmt werden und Heerscharen von Leuten damit beauftragen die Bühne so herzurichten, dass man sich hundertprozentig wohl fühlt, haha ;)

Gut, etwas andere Facette der "Kluft" als bei Dir, Mike, aber ich denke auch interessant, oder? :)

Bei Dir ist es halt der Unterschied zwischen Theorie und Praxis, der die "Kluft" definiert... aber auch da hilft es wohl nur immer und immer wieder mit anderen zu jammen und eine gewisse Improvisations-Routine zu entwickeln...
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